Preußen
1815: Das Rheinland wird preußische Provinz
Der Wiener Kongress ordnete nach der Niederlage Napoleon Bonapartes Europa neu. Preußen erhielt durch die Schlussakte des Wiener Kongresses 1815 große Gebiete in Westfalen, im Rheinland und an der Ruhr.
Sinzig wurde eine preußische Bürgermeisterei im 1816 gebildeten Kreis Ahrweiler, der zum Regierungsbezirk Koblenz gehörte. Die zunächst gebildeten Provinzen Jülich-Kleve-Berg und das Großherzogtum Niederrhein wurden am 22. Juni 1822 per Kabinettsorder zur Rheinprovinz vereinigt. Die Rheinprovinz bestand bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fort, der Regierungsbezirk Koblenz wurde erst zum 1. Januar 2000 aufgelöst.
Quelle: Sinzig und seine Stadtteile, Kleinpass S.160
Nachdem die Grande Armée im gescheiterten Russlandfeldzug Napoleons vernichtet worden war, begannen in Europa die Befreiungskriege. Im Oktober 1813 fügten russische, österreichische, preußische und schwedische Truppen in der Völkerschlacht bei Leipzig den neu aufgestellten Truppen Napoleons eine schwere Niederlage zu und drangen bis zur Rheingrenze vor. Am 1. Januar 1814 überschritten preußische Truppen bei Kaub und russische Truppen bei Koblenz den Rhein. Am 4. Januar befreiten russischen Kosaken Sinzig. Am 2. Februar 1814 kamen die ehemaligen linksrheinischen Départements provisorisch unter preußische Verwaltung. Sinzig gehörte bis zum 15. Juni 1814 zum Generalgouvernement Mittelrhein, danach zum Generalgouvernement Mittel- und Niederrhein. Mit der Unterzeichnung der Schlussakte des Wiener Kongresses Anfang Juni 1815 wurden Preußen große Teile des Rheinlands und Westfalens völkerrechtlich verbindlich zugesprochen. Doch bereits zuvor, am 5. April 1815, hatte der preußische König Friedrich Wilhelm III. offiziell Besitz von seinem neuen Territorium ergriffen. Am Rhein wurde eine neue preußische Provinz, das Großherzogtum Niederrhein, gebildet. Durch Zusammenschluss mit der Provinz Jülich-Kleve-Berg entstand am 22. Juni 1822 die Rheinprovinz, ein Gebiet mit etwa zwei Millionen Einwohnern. Durch die Entwicklung der Montanindustrie und die Industrialisierung im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet hatte die Rheinprovinz großen Einfluss auf die Entwicklung Preußens zur europäischen Großmacht.
Der oberste Verwaltungsbeamte der Rheinprovinz, der Oberpräsident, residierte in Koblenz, darunter gab es fünf Regierungspräsidenten in Aachen, Köln, Düsseldorf, Koblenz und Trier. Der Appellationsgerichtshof Köln wurde durch eine Justizreform 1819 zum obersten rheinischen Gericht. Der gebürtige Sinziger Karl Anton Broicher war von 1843 bis 1851 Rat, von 1855 bis 1868 Präsident des Appellationsgerichtshofs.
Düsseldorf war ab 1826 Sitz des neuen Provinziallandtags, der zunächst nur wenige Rechte hatte, nach 1860 aber einflussreicher wurde.
Nachdem die Franzosen die rheinischen Universitäten Köln und Mainz aufgelöst hatten, bekam nun neben Köln auch Bonn eine neue Universität, die Friedrich-Wilhelms-Universität.
Das Rheinland tat sich schwer mit den neuen Herren. Die Franzosen hatten 1804 ein bürgerliches Gesetzbuch, den Code Civil (Code Napoléon), eingeführt. Dadurch waren alle Bürger vor dem Gesetz gleich. Preußens Allgemeines Landrecht kannte so etwas nicht. Berlin gestattete den linksrheinischen Gebieten Preußens, das französische Recht als „Rheinisches Recht“ weiterzuführen. Teile des Code Civil galten linksrheinisch noch bis 1900, als im Deutschen Reich das Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt wurde. Das französische Strafrecht (Code pénal) von 1810 wurde noch bis 1870 angewendet. Bis 1845 hatte linksrheinisch auch die französische Gemeindeordnung Bestand. Im Gegensatz zu anderen preußischen Provinzen wurde nach 1845 in der preußischen Gemeindeordnung für die Rheinprovinz kein Unterschied zwischen Stadt- und Landbewohnern gemacht.
1853: Die Sinziger Mineralquelle wird erschlossen
1853 ließ A. Rosenbaum die Sinziger Mineralquelle erbohren und fassen. Noch im selben Jahr wurden Anzeigen in der Bonner Zeitung geschaltet und erste Tonkrüge mit Sinziger Mineralwasser für 20 Pfennig pro Krug verkauft. Ab 1857 wurde in Sinzig eine Kuranlage mit Badebetrieb eingerichtet.
Quelle: Kleinpass, Sinzig und seine Stadtteile S.268ff
Ab 1857 war in Sinzig eine Kuranlage mit Badebetrieb eingerichtet und Sinzig wurde zum Kurort „Bad Sinzig“. Berühmtester Kurgast war der russische Dichter Iwan Turgenew, dessen Erzählung Asja durch den Aufenthalt inspiriert wurde. 1865 verkaufte der damalige Besitzer Erlenmeyer den Sinziger Brunnen und alle Rechte an die Bad Neuenahrer Kurbad-Gesellschaft, die allerdings den Brunnen nicht weiter betrieb, sondern die Quelle zuschüttete.
1921 erwarb Carl Baum die Sinziger Mineralquelle und legte den Brunnen wieder frei. Ein neues Badehaus wurde 1927 feierlich eröffnet. Seit 1929 wird erneut Sinziger Mineralwasser abgefüllt und vertrieben.
Doch das neue Bad Sinzig wuchs über zaghafte Anfänge nicht hinaus. In den 1950er Jahren kam der Kurbetrieb zum Erliegen. Das Mineralschwimmbad an der Kölner Straße war noch bis 1980 in Betrieb.
Mit der Mineralwasser-Abfüllung hatte der Sinziger Brunnen mehr Erfolg. Nach dem Krieg wurde der Vertrieb von Mineralwasser stark ausgebaut. Nun wurde neben Mineralwasser auch Limonade abgefüllt. 1989 verkaufte die Familie Baum das Unternehmen an die Apollinaris Brunnen AG. Seit 2005 besitzt die Franken Brunnen GmbH & Co. KG aus Neustadt an der Aisch den Sinziger Brunnen.
1858: Die Eisenbahn erreicht Sinzig
Die erste Eisenbahn in Deutschland verkehrte am 7. Dezember 1835 auf einer sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth. Der Transport von Gütern und Menschen war bis dahin schwierig und langsam. Der gewöhnliche Bürger war zu Fuß unterwegs, die normale Tagesetappe lag bei etwa 20 Kilometer. Schon die erste Eisenbahn erreichte eine Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde, die damals als atemberaubend und angsteinflößend empfunden wurde. 1858 wurde Sinzig im Rahmen des Ausbaus der Bahnlinie Bonn-Koblenz an das rasch wachsende Bahnnetz angeschlossen. Der Sinziger Bahnhof wurde 1859 fertiggestellt.
1854: Ein Kölner Kaufmann baut ein „Schloss“
In den Jahren von 1854 bis 1858 ließ der Kölner Kaufmann Gustav Bunge von dem Architekten Vincenz Statz auf dem Gelände des ehemaligen Schlosses eine neugotische Villa als Sommersitz für seine Familie erbauen.
Die neugotische Villa Gustav Bunges
1337 hatte der Herzog von Jülich eine Wasserburg zum Schutz der Stadt Sinzig erbauen lassen. 1569 bis 1574 wurde sie zu einem Schloss umgebaut, welches 1689 im pfälzischen Erbfolgekrieg von französischen Truppen zerstört wurde.
Bunge hatte das Grundstück 1850, im Jahr seiner Heirat mit Adele Andreae, deren Familie im ehemaligen Kloster Helenaberg wohnte, gekauft. In den Jahren von 1854 bis 1858 ließ der Kölner Kaufmann Gustav Bunge durch den Architekten Vincenz Statz auf dem Gelände des ehemaligen Schlosses eine neugotische Villa als Sommersitz für seine Familie erbauen.
Der Kirchenmaler Karl Christian Andreae, Bruder von Adele Andreae, malte zwei Gesellschaftsräume im Erdgeschoss kunstvoll aus. Bunges Tochter Johanna (1851 bis 1934), verheiratet mit dem Kölner Bankier Ernst Friedrich Koenigs, erbte die Villa nach dem Tod der Eltern. Bis zum Kauf durch die Stadt Sinzig 1954 befindet sich die Villa im Besitz der Familie.
Seit 1956 ist hier das Heimatmuseum der Stadt Sinzig untergebracht.
Mit dem Großbürgertum entstand im 19. Jahrhundert eine neue, reiche Gesellschaftsschicht aus Industriellen und Großkaufleuten. Diese Selfmademen waren zwar stolz auf das Erreichte, dennoch eiferte man im Lebensstil und im Auftreten dem Adel nach. Ein Ausdruck dieses Strebens sind die am Rhein stehenden Villen im Stil des Historismus.
9. April 1870: Der Grundstein der Mosaikplattenfabrik wird gelegt
Ein Unternehmer-Konsortium um den aus Krefeld-Uerdingen stammenden Fabrikanten Ferdinand Frings investierte 1870 in den Bau der „Mosaik-Fußboden-Platten und Thonwaaren Fabrik F. Frings & Cie“. Dies war die erste größere Industrieansiedlung in Sinzig. Die ab 1880 hergestellten Sinziger Mosaikplatten erlangten weltweite Verbreitung.
Quelle: Heiß gebrannt und unverwüstlich
Das Trockenpressverfahren zur Herstellung von keramischen Bodenplatten war in England erfunden worden. François Boch hatte das Verfahren weiterentwickelt, sodass auch Platten mit farbigen Mustern gepresst werden konnten. 1869 eröffneten Villeroy & Boch in Mettlach die erste Mosaikplattenfabrik auf dem europäischen Kontinent. Der Architekt Hermann Otto Pflaume regte in einem Kölner Unternehmerkreis, zu dem auch Mitglieder der Familie Andreae gehörten, den Bau einer Mosaikplattenfabrik nach dem Vorbild des Mettlacher Werks an. Als geeigneter Standort wurde Sinzig ausgewählt, wo schon 1871 die Produktion begann.
Die Mosaikplatten wurden, mit an den jeweiligen Zeitgeschmack angepassten Formen und Dekors, bis in die 1930er Jahre gefertigt.
150 Jahre nach Gründung der Plattenfabrik ist die Produktionsstätte der Deutschen Steinzeug Cremer & Breuer AG weiterhin der größte industrielle Arbeitgeber in Sinzig.
Siehe auch unsere Webseite „AGROB„
1907: Der Sinziger Winzerverein wird aufgelöst
762 wurde erstmals Weinbau in Sinzig dokumentiert und war über viele Jahrhunderte ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Ab 1885 trat auch in den Sinziger Weinbergen die aus Amerika eingeschleppte Reblaus auf. Befallene Parzellen mussten gerodet werden. Aber auch andere Rebschädlinge, ungünstige Witterung und Blattkrankheiten hatten den Weinbau unrentabel gemacht. Eine lange Serie von Missernten zwang viele Winzer zur Aufgabe. Im Dezember 1907 wurde der um 1882 gegründete Sinziger Winzerverein aufgelöst. Die im Jahr 1896 an der heutigen Barbarossastraße 31-33 gebaute Kellerei und das Wirtschaftsgebäude wurden 1911 versteigert. Dennoch dauerte es noch bis in die 30er Jahre, bis der Weinbau in Sinzig vollständig endete. Ein Großteil der Rebflächen entlang der Südseite des Mühlenberges wurde in Obstwiesen umgewandelt.
Den Sinziger Winzern boten sich Alternativen. Industrie, Handel und der Reiseverkehr entlang des Rheins schufen Arbeitsplätze. Entlang der Ahr blieb der Weinbau dagegen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Was sonst noch geschah
1816: Die Tortürme werden abgerissen
1816 waren die Stadttore und die Stadtmauer in einem schlechten Zustand. Die Türme auf dem Leetor (Koblenzer Tor) und dem Mühlenbachtor wurden auf Anordnung der preußischen Verwaltung bis zur Höhe der Stadtmauer abgerissen. Die Hauptstraße wurde neu gepflastert.
1838 wurde der alte Friedhof im Osten und Süden von St. Peter zu klein. Die Stadtmauer entlang des heutigen Elsa-Brandström-Rings wurde entfernt, der davor liegende Graben verfüllt und ein neuer Friedhof angelegt.
Im Rahmen des Eisenbahnbaus wurde die Stadtmauer entlang der heutigen Barbarossastraße zwischen Torhausgasse und Elsa-Brandström-Ring abgerissen, da die Eisenbahngesellschaft eine breite Zufahrtsstraße zum Bahnhof forderte. Im gleichen Zug scheint auch der Turm des Ausdorfer Tors abgerissen worden zu sein.
1883 beschloss der Sinziger Stadtrat, die Stadtmauer entlang der heutigen Kalkturmstraße und der Grabenstraße zum Abriss freizugeben, um dringend benötigte Bauplätze für neuen Wohnraum zu schaffen.
Quelle: Architektur in Sinzig
Abb. Reste der Stadtmauer Sinzig, Rheinstraße
1867: Die Synagoge in der Martelsburg wird eingeweiht
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nutzten die Sinziger Juden für das Sabbatgebet einen Betsaal in einem jüdischen Privathaus. Doch bald entstand der Wunsch nach einer Synagoge. 1865 kaufte die jüdische Gemeinde den Mittelteil der Martelsburg. Nach dessen Umbau wurde am 13. September 1867 dort die Synagoge feierlich eingeweiht.
Am 10. November 1938 zerstörten SA-Leute die Inneneinrichtung der Synagoge. Der Synagogenprozess am 17. und 18. Dezember 1951 gegen fünf nachweislich an den Ausschreitungen beteiligte Männer führte mangels Zeugenaussagen nicht zu einer Verurteilung.
Die Stadt Sinzig als Eigentümer ließ die Martelsburg 1970 abreißen. Dort steht heute ein Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten und vertriebenen Sinziger Juden.
Quelle: Knoblauch und Weihrauch, R. Menacher
Die Martelsburg
19. Jahrhundert: Eine moderne Infrastruktur entsteht
Die preußische Regierung und die Stadt Sinzig investierten im 19. Jahrhundert in die Infrastruktur, die Verwaltung und das Bildungswesen. So entstanden Verwaltungsgebäude, die noch heute das Stadtbild prägen.
Gebaut wurden:
⦁ 1835-1837 das heutige Rathaus als neues Stadt- und Schulhaus
⦁ 1879 das Amtsgerichtsgebäude
⦁ 1896 das Franziskushaus als neues Hospital
⦁ 1903-1904 das erste Elektrizitäts- und Wasserwerk
⦁ 1904 die Lehrerbildungsanstalt (Präparandie)
⦁ 1908 der neue Friedhof an der Koisdorfer Straße
Quelle: Architektur in Sinzig
Stadtwerke Sinzig 1904
1907: Die Glasfabrik nimmt den Betrieb auf
Neben der Mosaikplattenfabrik Sinzig war die auf Breisiger Gebiet gelegene Glasfabrik lange Zeit der wichtigste industrielle Arbeitgeber für die Sinziger Bevölkerung. Die ehemalige Veba-Glas AG ging aus einer Glasflaschen-Fabrik hervor, die die Apollinaris GmbH Bad Neuenahr im Jahr 1907 gebaut hatte. Nachdem die erheblichen Kriegsschäden beseitigt waren, lief die Produktion im Jahr 1948 wieder an. 1951 produzierte die Glasfabrik 140.000 Flaschen für die Getränke- und Chemie-Industrie. Im Jahr 1960 kaufte die Ruhrglas AG Essen das Werk. 1979 wurde die damalige Veba-Glasfabrik zum Teil und im Frühjahr 1983 dann komplett stillgelegt. Der Rhein-Ahr-Region ging damit einer ihrer größten Arbeitgeber verloren.
Glasfabik Goldene Meile