Sinzig. Mühsam, aber auch von Entdeckungen gekrönt war es ganz Sinzig abzulaufen, Straße um Straße und vor allem Haus um Haus. Unter anderem wurden 2625 Gebäude der Sinziger Innenstadt betrachtet, von denen 2211 einem konkreten Baujahr zuzuordnen waren. Wohl gemerkt unter anderem, denn auch Akten im Bauamt wollten studiert und Archive besucht werden. So entstand auf der Grundlage ausführlicher Recherchen die vom Verein zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig herausgegebene Veröffentlichung „Architektur in Sinzig – Bauliche Entwicklung einer Kleinstadt am Mittelrhein seit 1827“.
Dem druckfrischen Werk von Hardy Rehmann, Diplomingenieur und bei der Deutschen Telecom beschäftigt und dem freiberuflichen Journalisten und Buchautor Matthias Röcke, war ein Abend in der Reihe „Turmgespräch“ gewidmet, zu dem Karl-Friedrich Amendt begrüßte. Im bis auf den letzten Platz gefüllten Kultursaal des Schlosses nannte der Vereinsvorsitzende das Buch „einen Vorgriff auf das Stadtjubiläum in 2017“. Rehmann bestätigte: „Das Jubiläum hat uns angeregt“. Gemeinsam stellten die Verfasser, die beide in Sinzig leben und Vereinsmitglieder sind, ihr Architekturbuch vor.
In einer virtuellen Reise nahmen sie die Gäste an die Hand, um in verkürzter Form widerzuspiegeln, was im Buch umfassend und vielgestaltig in Erscheinung tritt, das Bild der Architekturstile in Sinzigs Kernstadt mit dem Schwerpunkt auf der Zeitraum 1827 bis 2016. „Wir hätten gerne auch Bad Bodendorf oder Franken berücksichtigt, doch unsere begrenzten personellen Möglichkeiten ließen das nicht zu“, erklärte Röcke.
Je mehr sie in ihr Thema eintauchten, umso faszinierter machten sie all die Moden in Stein aus. Nicht die bekannten Bauten, Kirche, Schloss, Zehnthof, standen im Fokus, sondern Wohnhäuser, öffentliche Gebäude und Industriebauten. Das Duo zeigte dem Publikum auf, wie sich das heutige Stadtbild ab dem 19. Jahrhundert aus einem noch mittelalterlich geprägten Umfeld entwickelte. Im Buch gehen sie auf viele Faktoren ein, die Einfluss auf die Veränderungen nahmen.
Allgemein ist eine zunehmende Dynamik in Flächen- und Bevölkerungswachstum nachvollziehbar. Damit einhergehend vermehrten sich Architekturstile und Gebäude fortwährend. Doch sprach Rehmann zunächst davon, dass nach dem Bau von Sankt Peter die Entwicklung 400 Jahre lang stockte. Aber um 1750 taucht ein barockes Gebäude nicht aus Fachwerk, sondern Bruchstein auf. 1827 verzeichnet die „Ur-Karte“, jene erste detaillierte Aufnahme der Gebäude von Sinzig, eine lockere Bebauung innerhalb des Mauerrings. Häuser samt Gemüsegärten und Feldern liegen in der Stadt. Fachwerkbau, einfach bis aufwändig, wie in der Eulengasse und Tuchergasse, überwiegt. Im Fachwerk bildet sich auch der Barock ab, wie in einem Marktplatzhaus mit Krüppelwalmdach. So unterschiedlich die Ausprägung, so starr die Aufteilung in fünf Achsen.
Das abbruchbedrohte rosa Haus Mühlenbachstraße 40, für dessen Erhalt sich der Denkmalverein einsetzt, trägt neben barocken auch klassizistische Züge. Teils pur klassizistisch wird zwischen 1760 und 1840 gebaut: Rathaus, Amtsgericht, Gebäude am Markt, aber auch noch der Bahnhof von 1859 weisen diese Stilmerkmale auf. Und die Bahn begünstigt die Industrie. 1870 kommt die Fliesenfabrik, 1907 die Glasfabrik. Vor dem Fortschrittssymbol Bahnhof verläuft bald, die von Villen gesäumte Barbarossastraße. Ob Villa oder Mehrparteienhaus – um 1900 erlebt Sinzig einen Wachstumsschub und dehnt sich erstmals über die Stadtmauergrenze aus. Gegen die Wohnungsnot gibt die Stadt in den 1880ern gar Teile ihrer ohnehin schon unvollständigen Mauer frei, damit Bauwillige in der Graben- und Kalkturmstraße Hauser errichten können.
Manches Bauwerk kam den Gästen fremd vor. Zwei Beispiele des Historismus, der zwischen 1840 und 1913 vergangene Baustile aufgriff und gerne mischte, wie beim „Wunschkonzert des Baumeisters einer Villa in der Kölner Straße“, waren indes allen vertraut: die neugotische Zehnthofvilla und das Schloss, Sommerresidenz der Familien Bunge und Koenigs. Ebenso wiesen die Autoren auf den Jugendstil, etwa das imposante Haus der Brüder Ott in der Koblenzer Straße oder das heutige Restaurant Vieux Sinzig. Neue Materialien hielten Einzug: 1860 fanden Rehmann und Röcke den ersten Beleg für Ziegelbauweise, „damals ein ganz modernes Material“.
Für jedes Jahrzehnt bis zur Jetztzeit, einschließlich Nachkriegs- und Postmoderne, rückten sie Typisches in den Blick. Da staunt man über den radikalen Wandel in der Architektur zwischen 1919 und 1933. Da nach dem Ersten Weltkrieg Wohnungsmangel herrscht in Sinzig, geht die Stadt endgültig über die mittelalterlichen Grenzen hinaus. Lohpförtchen, Friedrich-Ebert-Straße und Wallstraße werden bebaut. Zur Linderung der Wohnungsnot errichtet die Stadt in der Wallstraße etliche Häuser. Sie sind einfach und effizient, wie die Doppelhäuser Anfang der 1930er in der Rheinstraße. Es gibt auch andere stilbewusstere Ausführungen, wie das Jugendhaus HOT. Betonte Dachtraufen und Hausecken, horizontale Dekore und Erker sind ihre Kennzeichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg steigt der Wohnbedarf weiter an. Es kommt zur Ausdehnung der Stadt in allen Richtungen. Größer und aufwendiger sind bereits die Siedlungshäuser der späten 1950er Jahre. Zugleich hält die Moderne Einzug zum Beispiel mit dem Einzelhandelsgeschäft Ausdorferstraße 1, ein Flachdachgebäude mit Fensterfassade. Steigender Wohlstand bildet sich in den Bauformen von 1960 bis 1970 ab. Und nach der Postmoderne mit teils funktionslosen Gestaltungselementen punkten einige zeitgenössische Bauten mit ungewöhnlichen mutigen Lösungen, sei es das Pfarrheim Sankt Peter oder das mit Riesenlichtschacht ausgestattete Haus UM am Mühlenbergweg.
So haben die Rehmann und Röcke den Sinzigern und allen, die Interesse an der Stadt haben, einen erhellenden Architekturführer an die Hand gegeben, der Einblicke gibt und einlädt, „verborgene Schätze“ selbst aufzuspüren. Ihr Buch (ISBN: 978-3-96058-973-0), das die Stadt Sinzig mit einem Beitrag förderte, ist im Verlag Edition Lempertz erschienen und kostet 12,99 Euro. Dem virtuellen Stadtrundgang, mit dem die Autoren begeisterten, ließen sie nur zwei Tage darauf am Samstag einen wirklichen Rundgang durch das Stadtzentrum folgen.
„Architektur in Sinzig – bauliche Entwicklung einer Kleinstadt am Mittelrhein seit 1827“ – so lautet der Titel eines Buches, dass der Förderverein Denkmalpflege und Heimatmuseum in Sinzig jetzt präsentiert. Autoren sind die Vereinsmitglieder Hardy Rehmann und Matthias Röcke, die Vorstellung findet statt am Donnerstag, 27. Oktober, um 19.00 im Schloss Sinzig, Barbarossastraße.
Das Buch ist eine Entdeckungsreise durch die Architektur der Kernstadt Sinzig. Wie zeigt sich das Stadtbild heute und wie hat sie sich ab dem 19. Jahrhundert aus einem noch mittelalterlich geprägten Umfeld entwickelt? Es lässt sich eine stetig steigende Dynamik in Flächen- und Bevölkerungswachstum und eine immer größere Vielfalt von Architekturstilen und Gebäuden nacherleben. Auf der Grundlage ausführlicher Recherchen – unter anderem wurden 2625 Gebäude der Sinziger Innenstadt betrachtet – entstand so ein umfassendes und vielgestaltiges Bild der Architekturstile mit dem Schwerpunkt auf den Zeitraum von 1827 bis 2016. Von 1827 nämlich stammt die sogenannte Ur-Karte, eine erste, sehr detaillierte Aufnahme der Gebäude der Stadt Sinzig. Wohnhäusern der Sinziger Stadtbewohner, öffentliche Gebäude sowie Gewerbe- und Industriebauten sind beschrieben. Und dabei gibt es einiges an verborgenen Schätzen zu entdecken.
Das Buch ist nach der Vorstellung am 27. Oktober im Buchhandel und im HeimatMuseum Schloss Sinzig zu beziehen. Zwei Tage nach der Buchvorstellung, Samstag, 29. Oktober, laden die Autoren zu einem Stadtrundgang zum Thema ein. Start ist um 14.00 am Schloss Sinzig.
Text und Fotos: Hildegard Ginzler
© Museum Sinzig – Oktober 2016
© Museum Sinzig 2024
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