Sinzig/Thür. Einen Bewohner des Schlosses hat man dort schon geraume Zeit nicht mehr gesehen. Dabei ist er eine Schönheit. Muss man sich also Sorgen machen um das ansehnliche Mannsbild aus Marmor? Aber nein. Die Nachbildung des „Idolino“, eine römische Bronze, 1530 in Pesaro gefunden, die ihrerseits womöglich die Kopie einer griechischen Statue war, befindet sich in bester Obhut und mehr als das.
Sie hat vorübergehend Unterkunft in Thür genommen, genauer in der Werkstatt für Steinrestaurierung von Olaf Pung. Unterstützt durch Ehefrau Stefanie, Schreinerin, studierte Innenarchitektin und Künstlerin, verhilft der Diplomrestaurator dem Sinziger Idolino zu neuer Strahlkraft. Davon überzeugten sich kürzlich Agnes Menacher, Leiterin des Heimatmuseums im Sinziger Schloss und ein Mitglied des Vereins zur Förderung der Denkmalspflege und des Heimatmuseums. In Thür zog zuerst das Wohnhaus der Pungs die Blicke der Besucher an: der „Pitsche Hof“. 1834 vom Landwirt Nikolaus Breil aus dunklem Basalt erbaut, hieß er „Breil’scher Hof“, wurde aber nach der Übernahme durch Schwiegersohn Anton Pitsch nach diesem benannt. Später in Gemeindebesitz, diente er bis 1928 als Lehrerwohnung und wurde auch danach bewohnt. 2004 erwarben die Pungs das heruntergekommene Anwesen, restaurierten und sanierten es, worauf die Kreisverwaltung Mayen-Koblenz es 2011 als „schönstes historisches Haus des Landkreises“ auszeichnete.
Doch zurück zum Anlass des Besuches. Der führt ins Werkstattgebäude, wo den Besuchern der Sinziger Idolino begegnet. Sein Anblick blendet beinahe. Jegliche Vergrauung ist von ihm gewichen. Der Jüngling strahlt in reinem Weiß, nachdem Olaf Pung ihn behutsam mit 50, 60 Grad heißem Wasserdampf gereinigt hat. „Trifft der Dampf auf, ist er bereits abgekühlt“, erklärt er. Dagegen ist der Restaurator selbst „etwas ins Schwitzen gekommen“, nicht bei der Reinigung, sondern beim Transport der Figur, die stehend von Sinzig nach Thür gelangte. „Stehend ist sie vermutlich auch über die Alpen gekommen“, so Pung. „Dafür hat man üblicherweise die Stege zwischen Arm und Leiste stehengelassen“. Laut Beschriftung wurde das Standbild 1897 von „Professor Seeböck“ geschaffen, nach Pungs Dafürhalten „der österreichische Bildhauer Ferdinand Seeboeck (1864-1952), der zu dieser Zeit ein Atelier in Rom unterhielt“.
Damals war der Idolino jene helle Schönheit, die nun wieder in Erscheinung tritt. Und vermutlich war er intakt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt brach indes seine rechte Hand ab, die laienhaft „vermutlich mit UHU wieder geklebt wurde“. Das letzte Ringfingerglied war abgetrennt, aber vorhanden. Daumen, Zeigefinger und oberstes Mittelfingerglied dieser Hand brachen ebenfalls ab, verschwanden jedoch. An Stefanie Pung war es, diese zu ergänzen. Gewusst wie, dienten ihr die Gipsabgüsse des Florentiner Originals im Akademischen Kunstmuseum Bonn als Vorbild für ihre Modelle in Plastilin, nach denen die Umsetzung in Marmor erfolgte. Befestigt werden Finger und Hand reversibel durch Dübel und Methylmethacrylat, ein Kunstharz.
Es ist stets bereichernd, Fachleuten bei der Arbeit zuzuschauen und ihren Erklärungen zu lauschen. In Thür überrascht Olaf Pung obendrein mit folgender Geschichte. Er erzählt, dass er in den 1980ern mit seinem Vater, in dessen Steinmetzbetrieb er vier Jahre Berufserfahrung sammelte, nach Carrara, Italien, reiste. Obgleich sie eigentlich die Kosten scheuten und keine Transportmöglichkeit für einen größeren Stein hatten, kauften sie in den weltweit berühmten Steinbrüchen ein Stück reinweißen Marmors der höchsten Qualitätsstufe „Statuario“, Material für Statuen, das heute selten geworden ist in Carrara. Umso erfreulicher, dass genau diese Investition nun, rund drei Jahrzehnte später, dem Sinziger Idolino zugutekommt. Aus ihm entstanden die neuen Handglieder.
Allerdings kam der Idolino nicht alleine zur Restaurierung. Sein Duopartner, ein nachträglich untergeschobener Sockel aus grünem Brekzienmarmor, der dem Knaben zur rechten Wirkung verhilft, war mit von der Partie. Wie neu schaut er aus dank einer Sandstrahlbehandlung. Dass er eine Drehplatte besitzt, „mit der die Skulptur vom Betrachter um die Vertikalachse gewendet werden kann“, ist eine Tatsache, die keinem mehr bekannt war, jedoch von Restaurator Pung wiederentdeckt wurde. In Rom hat er die Kapitolinische Venus gesehen. Auf einem Drehsockel steht sie in der Mitte eines für sie Anfang des 19. Jahrhunderts gestalteten Kabinetts. „Das Prachtstück des Raumes, das schiebt man nicht in eine Ecke“, ist er von dieser Positionierung überzeugt. Auch den Idolino stellt er sich zukünftig in der Mitte des Turmzimmers im Sinziger Schloss vor. Und dabei hat er noch nicht einmal erwähnt, dass das Turmzimmer, wie das Kabinett ein Raum achteckigen Zuschnitts ist.
Text und Fotos: Hildegard Ginzler
© Juli 2019 – Museum Sinzig
© Museum Sinzig 2024