Sinzig. Mit der jetzt eröffneten Ausstellung greift das HeimatMuseum Schloss Sinzig ein in diesen Monaten stark beachtetes Thema auf: „Kriegsende und dann…? Der Kreis Ahrweiler 1944 bis 1946“. Museumsleiterin Agnes Menacher hat zusammen mit einem engagierten Helferkreis umfangreiches Material zu ganz verschiedenen Aspekten zusammengestellt. Die Ausstellung schlägt den Themenbogen vom Luftkrieg, der Bombardierung und den Trümmern bis zur Eroberung der Rheinbrücke in Remagen und Schanzenbau. Ebenso behandelt sie Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und das dem Rüstungsbetrieb dienende KZ-Außenlager Rebstock im Ahrtal sowie die Not der Zivilbevölkerung, die Schutz in Bunkern und Höhlen suchte. Darüber hinaus werden das Rheinwiesenlager für deutsche Kriegsgefangene in der Goldenen Meile, die Entnazifizierung und die Opfer des Krieges im Kreis angesprochen. Schließlich verwahrt sich die Ausstellung gegen den Missbrauch von Gedenkstätten durch Neonazis und gegen Geschichtsverfälschung und Propaganda von Rechtsextremen.
Unter anderen hat der Militärkenner Wolfgang Gückelhorn das Vorhaben unterstützt. Von ihm stammt auch ein Begleitbuch unter dem Titel der Ausstellung, das ebenfalls jetzt vorgestellt wurde. Den Festvortrag zur Eröffnung im dicht besetzten Kultursaal des Sinziger Schlosses hielt der Bürgerbeauftragte des Landes-Rheinland-Pfalz Dieter Burgard. Er sprach über die Bedeutung der Ereignisse von 1945 für das heutige Gedenken und Erinnern vor dem Hintergrund von Missbrauch durch rechtsextreme Kreise. Die seit 1985 gepflegte Erinnerungskultur – Ausgangspunkt war seinerzeit die berühmte Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai dieses Jahres
40 Jahre nach dem Waffenstillstand – sei längst ein Zeichen wehrhafter Demokratie geworden. Burgard sieht die Ausstellung als eine präventive Maßnahme und dankte Agnes Menacher und ihrem Team. Die Museumsleiterin ging anschließend auf die Inhalte der Ausstellung und die Gewichtung der Ereignisse ein. „Der 8. Mai 1945 war definitiv ein Tag der Befreiung“, sagte sie mit Blick auf die von den Siegermächten gegebene Chance zum Neuanfang nach dem Ende des Terrorregimes der Nationalsozialisten. Grußworte während der musikalisch einfühlsam gestalteten Feierstunde sprachen Bürgermeister Wolfgang Kroeger, Kreisbeigeordneter Friedhelm Münch sowie der Vorsitzende des Fördervereins Karl-Friedrich Amendt. Im Anschluss gab es im für diesen Tag eingerichteten Schlosscafé Kaffee und Kuchen.
Zeitzeugen, die damals noch Kinder oder Jugendliche waren, erinnern sich 70 Jahre nach Kriegsende vor allem an die Luftangriffe der Jahre 1944/45, den Tod oder das Bangen um Angehörige und Freunde an der Front, in Lazaretten oder in Gefangenschaft. Dramatische Kriegsereignisse, nicht zuletzt beim Einmarsch der Amerikaner im Kreisgebiet Anfang März 1945, die Einnahme der Remagener Rheinbrücke, die Kriegsgefangenenlager Remagen und Sinzig sowie die Not der Nachkriegszeit mit Hunger, Kälte und Entbehrungen, haben sich bei vielen tief eingeprägt. Die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes werden in diesem Zusammenhang dagegen oft ausgeblendet. Die Ausstellung und umfangreichen Dokumentation „Kriegsende und dann?… Der Kreis Ahrweiler 1944 bis 1946“ will in Wort und Bild diese verschiedenen Aspekte im geschichtlichen Kontext zeigen. Damit will sie auch Anstöße zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit Krieg, Gewalt und Not geben.
Die Ausstellung „Kriegsende und dann…? Der Kreis Ahrweiler 1944 – 1946“ im HeimatMuseum Schloss Sinzig, Barbarossastraße 35, dauert bis zum 21. Juni und ist zu den Öffnungszeiten des Museums zu sehen – donnerstags von 10 bis 12 Uhr und samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr; Gruppen nach Vereinbarung unter Tel.: 02642-3406. Im Anschluss wird sie unter anderem auch in der Erich-Kästner-Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler, dem Kreishaus Ahrweiler und in der Verbandsgemeinde Brohltal gezeigt werden.
Begleitband „Kriegsende und dann …? Der Kreis Ahrweiler 1944 bis 1946“, Gückelhorn, Wolfgang, 258 Seiten, 519 Abbildungen, fest gebunden, Helios Verlag, 32,00 Euro.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
Die meisten heute in Deutschland lebenden Menschen haben den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Mit Befremden und Unverständnis nahmen sie wahr, dass Russland den 70. Jahrestag des Sieges über die deutsche Wehrmacht mit der größten Militärparade aller Zeiten feierte.
Natürlich gab es auch Feierlichkeiten in Paris und London und – sehr bescheiden – in Washington. Dafür hat man hierzulande Verständnis, man betrachtet diese Feiern als eine Art Nostalgie – etwa wie die Steuben-Parade.
Schon fast empörend fand man es dagegen, dass der griechische Finanzminister plötzlich daran erinnerte, dass Deutschland seinem Land noch 13 Milliarden Euro an Reparationen schulde.
Die Forderung ist durchaus begründet, aber was würde geschehen, wenn man ihr nachkäme? Wie viele Länder würden ebenfalls Reparationsforderungen anmelden und in welcher Höhe?
Und kann man die deutsche Bevölkerung heute für die Schuld der NS-Zeit in Sippenhaft nehmen?
Für eine Schuld, die die meisten kaum kennen?
Dass viele Deutsche keine Kenntnis von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und der Schuld ihrer Väter und Großväter haben, liegt großenteils an der zögerlichen Art und Weise, wie die Zeit des Dritten Reiches nach dem Krieg in Deutschland aufgearbeitet wurde.
Der kollektive Verdrängungsprozess, der nach 1945 einsetzte, wurde erst in den 80iger Jahren allmählich überwunden. Bis dahin wurde über die Schuld des Dritten Reiches wenig gesprochen und geschrieben. Konkret lässt sich das etwa an den Heimatjahrbüchern des Kreises Ahrweiler nachweisen.
Wenn man sich überhaupt an den Zweiten Weltkrieg erinnerte, dann an die Gefallenen der eigenen Familie oder der eigenen Gemeinde, an die Opfer des Luftkriegs, an die Kriegsgefangenen in der Goldenen Meile und an die Zerstörungen, die der Krieg in Deutschland hinterlassen hatte. Die galt es schnellstmöglich zu beseitigen.
Dass man über die Kriegserlebnisse nicht sprach, war für viele Menschen, besonders für solche, die damals noch Kinder waren, eine seelische Bürde. Denn die traumatisierenden Erlebnisse der Kindheit sind bis heute wirksam. Das zeigen auch hier im Kreis Ahrweiler die Zeitzeugenberichte „Kriegskinder erzählen“, eine Initiative der Caritas Ahrweiler.
Die Kriegskinder mussten funktionieren, sie durften ihre Familien nicht belasten mit schrecklichen Erinnerungen. Wiederaufbau war angesagt und erforderte alle Kräfte, auch die der Kinder, beim Hamstern, Schmuggeln, beim Kohlenklau oder beim Schwarzhandel, damit die Familien überleben konnten – auch das wird in der Ausstellung thematisiert.
Heute können sie sprechen über die Flucht, das Überleben in den selbstgebauten Bunkern, die Todesangst bei Tieffliegerangriffen und den Hunger, den sie erlitten haben, als das „1000-jährige Reich“ nach 12 Jahren im Chaos einer vernichtenden Niederlage zusammenbrach. Viele wurden der Heimat entrissen, sie erlebten die Flucht nach Westen, andere erinnern sich an die Evakuierungen, die Zerstückelung der Familien, z.B. durch Kinderlandverschickung, oder daran, dass sie nahe der Heimat in Kriegsgefangenschaft kamen.
Jahrzehntelang geschwiegen wurde über die Verbrechen, die im Namen des Deutschen Volkes begangen worden waren. Ja, selbst die scheinbar integre deutsche Wehrmacht hatte Verbrechen großen Stils begangen, was heute noch von „Ewig-Gestrigen“ geleugnet wird.
Auch im Kreis Ahrweiler wurden Verbrechen begangen, und es hat lange gedauert, bis man sich daran erinnerte.
Hat nicht jeder, der im Raum Dernau – Marienthal lebte, mitbekommen, dass in den Eisenbahntunneln Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in unsäglichen Verhältnissen arbeiten mussten?
Wurde dort nicht ein Galgen nach dem Krieg gefunden?
Viele haben mitbekommen, dass Kriegsgefangene in den Fabriken unter erbärmlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten.
Wurden nicht Leichen von mit Genickschuss erschossenen russischen Kriegsgefangenen in Sinzig entdeckt?
Und wo waren eigentlich die jüdischen Mitbürger geblieben, die 1942 aus den Gemeinden des Ahrkreises deportiert worden waren, nachdem sie Erniedrigung und Drangsal aller Art hatten erdulden müssen?
Selbst dass es in der goldenen Meile zwei riesige Gefangenenlager gab, in denen deutsche Kriegsgefangene wochenlang unter freiem Himmel campieren und schmachten mussten, kehrte erst dreißig Jahre nach Kriegsende wieder ins öffentliche Bewusstsein zurück. Warum waren diese in den Lagern?
Sehr nachteilig wirkte sich aus, dass die Ergebnisse der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen aus politischen Gründen bis 1975 unter Verschluss gehalten wurden. So konnte der Eindruck entstehen, dass etwas vertuscht werden sollte.
Die Folge: Der kanadische Publizist James Bacque stellte u. a. in seinem Buch „Der geplante Tod“ die Behauptung auf, die Amerikaner hätten absichtlich bis zu einer Million deutsche Kriegsgefangene in ihren Lagern verhungern lassen. Obwohl diese These längst als unwissenschaftlich und völlig unhaltbar entlarvt worden ist, dient sie immer noch den deutschen Neonazis als Argumentationshilfe.
Dass dagegen in deutschem Gewahrsam ca. 3,35 Millionen russische Kriegsgefangene von insgesamt 5,7 Millionen umkamen, ist den meisten Deutschen unbekannt. 80.000 von ihnen wurden ermordet, weil sie Juden waren, die Zahl der ermordeten politischen Kommissare ist unbekannt,sicher nachgewiesen sind 3.430 Exekutionen.
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist zum Glück vieles, aber längst nicht alles aufgearbeitet, was sich an Bemerkenswertem in den Jahren 1944-1946 im Kreis Ahrweiler ereignet hat.
Die Ausstellung „Kriegsende und dann…?“ versucht einen Überblick zu geben über die kriegerischen Ereignisse, von denen der Kreis Ahrweiler betroffen war, über die Bombardierungen, die der Unterstützung des Bodenkriegs dienten, Luftschutzmaßnahmen, Schanzarbeiten, Rekrutierung von Kindersoldaten und Volkssturm, über die Einnahme des Kreises durch amerikanische Truppen und die Gefangenenlager in der goldenen Meile. Daneben werden die Behandlung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, das Lager Rebstock als KZ und Rüstungsbetrieb, Besatzungszeit, Entnazifizierung und Versorgungskrise thematisiert.
Die Materialbasis für die 24 Schautafeln stammt hauptsächlich von Wolfgang Gückelhorn, der inzwischen zwölf militärgeschichtliche Bücher veröffentlicht hat, davon zehn, in denen der Kreis Ahrweiler eine Rolle spielt. Zusätzlich wird durch insgesamt 90 Exponate die Ausstellung ergänzt.
Wir sind sehr glücklich, dass es Wolfgang Gückelhorn gelungen ist, zu dieser Ausstellung einen umfangreichen Begleitband zu erstellen, in dem Sie alles, was in der Ausstellung angerissen wird, noch einmal detailliert nachlesen können.
Natürlich sind dabei die vorliegenden Arbeiten zahlreicher verdienstvoller Historiker und Heimatforscher aufgenommen und verarbeitet worden. Stellvertretend möchte ich den Kreisarchivar Leonhard Janta, den Stadtarchivar von Remagen Kurt Kleemann und Olaf Goebel nennen, die uns auch persönlich mit fachlichem Rat unterstützt haben.
Danken möchte ich auch den zahlreichen Zeitzeugen, deren persönliche Erinnerungen das Buch und die Ausstellung bereichern und illustrieren.
Die Redaktion der Rollups hat mein Mann Rudolf Menacher in Zusammenarbeit mit dem Diplom-Designer Volker Thehos besorgt. Volker Thehos verdanken wir auch die gelungene graphische Gestaltung der Rollups.
Zum Schluss noch einige Worte zu dem nebulösen „UND DANN…?“
Während die Kriegsgenerationen das Kriegsende als Zusammenbruch und Niederlage erlebt haben, erkennen wir heute darin eine Befreiung und den Beginn einer neuen Ära. Das Ende der nationalsozialistischen Diktatur war die Befreiung von einem Terrorregime, das von der Mehrzahl der Deutschen getragen wurde.
Der Neubeginn hat Deutschland zur Demokratie geführt und uns Deutschen bisher 70 Jahre in Frieden und Wohlstand beschert. Diese Entwicklung verdanken wir den Staaten, die die Größe hatten, unserem Land wieder die Chance zu einem Neuanfang zu geben, und es bei diesem Neuanfang unterstützt haben.
Der 8. Mai 1945 war definitiv ein Tag der Befreiung!
Was wäre, wenn Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit und Wut auf unser bestehendes Demokratiesystem in Deutschland Fuß fassen würden?
Würden wir da wieder anfällig für Rattenfänger und Demagogen?
Die Auseinandersetzung mit den politischen Ereignissen um uns herum zeigen, dass wir nicht nachlassen dürfen, für die Werte, die uns dieses demokratische Deutschland gesichert hat, einzutreten und auch Verantwortung zu tragen für den Frieden in der Welt, dieser Friede, der durch unser Land im letzten Jahrhundert zweimal gebrochen wurde.
Lassen wir nicht zu, dass rechtsextreme Rattenfänger unsere Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut infiltrieren und indoktrinieren!
Nur wenn man die Vergangenheit kennt, auch wenn sie unbequem und beschämend ist, kann man Lehren für die Zukunft ziehen.
Daher freue ich mich, dass schon jetzt mehrere Ausstellungsorte im Kreis Ahrweiler feststehen:
Die Erich Kästner Schule Bachem
Die Kreisverwaltung Ahrweiler
Das Erich Klausener Gymnasium Adenau
Der RheinAhrCampus Remagen
Ich danke allen, die vor nicht mal knapp einem Jahr mit mir dieses Projekt in Angriff genommen haben mit dem Ziel, eine Wanderausstellung zu konzipieren, die im gesamten Kreis Ahrweiler gezeigt werden soll, besonders in Schulen.
Mein Dank gilt der Stadt Sinzig, unserem Förderverein und dem Kreis Ahrweiler für die finanzielle Unterstützung, zusätzlich der Volksbank RheinAhrEifel und dem Helios Verlag für die Begleitpublikation.
Dank auch an Ulrich Schütte und Christoph Schürmann, unsere Musiker, für ihr sensibles Programm und an die Mitglieder unseres Fördervereins für die Durchführung dieses Tages.
Ich ende mit einem Zitat aus dem Song von Hannes Wader:
…“für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein,
fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein,
dann kann es gescheh‘n, dass bald niemand mehr lebt,
niemand, der die Milliarden von Toten begräbt.
Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit,
diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Agnes Menacher
Text : Matthias Röcke
Fotos: Hildegard Ginzler (6, 7, 9, 10) und Matthias Röcke (1-5, 8, 11)
© Museum Sinzig – Mai 2015
© Museum Sinzig 2024
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