Rhein-Gymnasiasten erarbeiten sich mit eigenen Werken einen Zugang zur Kunst der zeitgenössischen Malerei der Aborigines
Sinzig. „Ich freue mich schon sehr darauf, dass Schüler des Rhein-Gymnasiums sich künstlerisch mit der Malerei der Aborigines in diesen Wochen auseinander setzen und ihre Ergebnisse im Juni/Juli hier in unserem Museum präsentieren werden“, hatte Agnes Menacher anlässlich der Vernissage von „Steinzeitmoderne – Zeitgenössische Malerei der Aborigines“ geäußert. Nun konnte die Museumsleiterin bereits die zweite Gruppe, begleitet von Kunstlehrerin Annette Schlüter-Wilmers, in der Ausstellung begrüßen. Nach der Klasse 7 b kam eine Woche später die 8 b ins Schloss, um aus der intensiven Betrachtung der Bild-Werke australischer Ureinwohner, Hintergrundsinformationen von Agnes Menacher und angeleitet durch die Kunstpädagogin, Erkenntnisse und Ideen zu gewinnen für eine Eigengestaltung zum Thema „Traumreise“. Denn um Traumreisen, so machte Menacher deutlich, drehen sich die häufig aus Punkten aufgebauten Gemälde. Träume von heute Lebenden und Träume von Ahnen fließen mit den genauen Kenntnissen des Lebensraums, seiner Pflanzen, Tiere, Wasserlöcher und Wege in die Bilder ein.
Menacher erklärte den jungen Leuten, dass die Ureinwohner nur ein Prozent der australischen Gesamtbevölkerung stellen. Um ihre soziale Lage im heutigen Australien ist es schlecht bestellt. Die Arbeitslosigkeit liegt weitaus höher als der australische Durchschnitt. Die Gründe liegen unter anderem im Niedergang der ländlichen Industrie, mangelhafter Kenntnis der englischen Sprache und schlechter Ausbildung. Während die traditionelle Lebensweise der Aborigines der Würde des Einzelnen hohen Wert beimisst, brachte das Leben in der „zivilisierten“ Welt einer weißen Mehrheit viele Nachteile für die Urbevölkerung. Ihrer fruchtbaren Wandergebiete beraubt, ließ sich die hergebrachte Kultur nicht aufrechterhalten. Mangels Perspektive erlagen viele dem Alkoholismus. In einer Situation der Verelendung erwies sich die Malerei-Bewegung, die ihren Ausgang in den 70er Jahren nahm, als eine hoffnungsvolle Entwicklung, die tausenden Künstlern und ihren Gemeinden ein Einkommen sicherte. Die Bilder in Acryl auf Leinwand knüpfen an die ursprüngliche Körperbemalung, die Malerei in Höhlen, in den Sand und auf Baumrinde an.
Vor einem Bild von Wally Pwerle wies Menacher auf einen gelblichen Fleck in der ansonsten penibel ausgeführten Punktmalerei. Wie Klaus Reger, Sammler der Werke, ihr erläuterte, hatte sich der Maler in einer kalten Nacht mangels Decke in die Leinwand zum Schlafen eingewickelt. Der Fleck ist ein Rest anhaftender australischer Erde. Angesichts eines anderen Bildes erklärte die Museumsleiterin, dass es zwei Maler gleichzeitig, von gegenüberliegenden Seiten aus, erarbeiteten. Ohne Vorzeichnung gelang ihnen ein vollkommen ausbalanciertes Bild, dem an keiner Stelle die gemeinsame Urheberschaft anzumerken ist. Von diesem Vorgehen wollen sich die Schüler inspirieren lassen und jeweils zu zweit ein Bild fertigen. Beim großen Känguru-Gemälde Biggy Billas, das zwei große Tiere, eines aufrecht, eines kopfunter zeigt, erkannten sie oben ein weibliches Tier mit Jungem im Fellsack, unten ein männliches. Eine der Kleingruppen, zu denen sich die Schüler im Verlauf des Museumsunterrichts formierten, vertiefte sich in dieses Bild, um den anderen ihre Beobachtungen mitzuteilen. Sie machte rund um das Hauptmotiv Gestalten mit erhobenen Armen aus. „Sie jubeln, entweder, weil sie ein Känguru erlegt haben – das untere, das tot ist – oder weil das Leben weitergeht, wie das Baby zeigt“, lautete die erstaunliche Deutung. Als Gestaltungsmittel fanden die Schüler markante Umrisslinien und grafische Ornamente. Auch fiel ihnen auf, dass der Maler den Blick in den Leib der Tiere gewährt, wo sich Wirbelsäule und Innereien deutlich abzeichnen.
Eine weitere Gruppe befasste sich mit einem Werk von Mary Dixon und stellte fest, dass die Malerin die Punkt-Technik mit naturnaher Wiedergabe von Blattwerk verknüpfte. Eine Ansammlung gleichfarbener Punkte interpretierten die Schüler als Landschaftsform, während sie anhand von ausgeteilten Symbolerklärungen Menschen identifizierten, von denen sie annahmen, sie seien zum Ernten der zahlreichen Beerenfrüchte rund um die Pflanzen versammelt. Es war verblüffend festzustellen, wie erfolgreich die Kunstschüler die von Annette Schlüter-Wilmers gegebenen Hinweise auf die benutzten Zeichen, diverse Merkmale von Komposition, Farbe und Farbauftrag selbständig anwendeten. Mit wachem Interesse näherten sie sich den Bildern der Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel.
Die gewonnenen Eindrücke werden sie in drei Doppelstunden des Kunstunterrichts verarbeiten. „Mit Wattestäbchen ahmen sie die Punk-Technik nach“, gibt Annette Schlüter-Wilmers Vorgaben zum Malverfahren. Für ihre persönliche Traumreise werden die Sieben- und Achtklässler zunächst Skizzen fertigen und sie mit Wasser- und Abtönfarbe auf Tonkarton übertragen. Weil die Arbeitszeit knapp bemessen ist, wird die Malerei farbig auf dunkel getöntem Karton realisiert. So fällt die Gestaltung des Hintergrundes weg.
Hildegard Ginzler
© Heimatmuseum Schloss Sinzig – 2006
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